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Das grüne Gummibärchen
Eine Gute-Nacht-Geschichte für Kinder.
"Hm, lecker", Julia steckte die Hand in die Tüte und suchte sich die letzten roten und gelben Gummibärchen aus.
" Lass mich auch mal", ihr Bruder Tom schob sie zur Seite. "Hey, du hast ja alle roten gegessen", beschwerte er sich. "Da bleiben für mich ja nur noch orange und weiße."
" Ein grünes ist auch noch da", wusste Julia. "Das mag ich nicht - genau wie du", schimpfte er. Das grüne Gummibärchen ganz hinten in der Tüte zuckte zusammen. "Niemand mag mich", es schluckte schwer. "Seit einer Woche ist die Tüte offen. Alle anderen Bärchen wurden ausgesucht, nur ich bin übrig geblieben." Es war ganz traurig. Jetzt knüllte Julia auch noch die Tüte zusammen und warf sie Richtung Mülleimer. Dann liefen die Kinder aus dem Zimmer.
Das grüne Bärchen war in der Tüte heftig durchgeschüttelt worden und wusste erst mal gar nicht, wo oben und unten war. "Puh, ist mir schwindelig", stöhnte es und schwankte hin und her, als es sich aus der Tüte herauskämpfte. "Da wird man ja seekrank."
" Was weißt du denn von der See?", fragte ein Papierschiffchen, das auf dem Boden stand. "Nicht viel", gab das Gummibärchen zu. Das Schiffchen kicherte. "Dachte ich´s mir doch. Komm, wir machen eine Reise." Es war gar nicht so einfach für das Bärchen, den schrägen Schiffsrumpf zu erklettern. Doch dann war es geschafft, und es betrachtete das Zimmer aus einer ganz ungewohnten Höhe.
"Auf geht´s", jubelte das Schiffchen und steuerte einen Milchsee auf dem Boden an. Der war entstanden, als Julia beim Abendessen ein volles Milchglas umgestoßen hatte. Eifrig gab das Bärchen Anweisungen, wie das Schiff fahren sollte. Dann spürte es plötzlich etwas Kaltes an seinem Fuß. Milch sickerte durch die dünne Papierwand.
" Wir sinken", rief es und griff schnell zu einem kleinen Hut. Den hatte wohl ein Spielzeugmännchen verloren. Tropfen für Tropfen schöpfte das Gummibärchen die Milch aus dem Boot. Ihm wurde ganz heiß von der anstrengenden Arbeit. Es schöpfte und schöpfte, doch es kam immer mehr Flüssigkeit nach. Als es seine Arme kaum mehr heben konnte, hörte es auf einmal Schritte näher kommen. Die Kinder waren wieder da - und sie hatten ihre Freundin Laura mitgebracht.
"Schaut mal", Laura entdeckte das Schiffchen sofort. "Mein Schiff", Tom rannte schnell hin und hob es aus der Pfütze heraus. "Das muss erst mal trocknen", entschied er und stellte es auf die Fensterbank. "Wie kommt denn das Gummibärchen dort rein?", fragte Julia. "Gummibärchen? Oh, sogar ein grünes", freute sich Laura. "Das mag ich am allerliebsten." Und vorsichtig rettete sie es aus dem nassen Boot. Das Gummibärchen strahlte. Endlich hatte es jemanden gefunden, der es allen anderen Gummibären-Farben vorzog. Was war das doch für ein aufregender Tag gewesen. Es gähnte müde und beschloss, in Lauras Tasche erst mal ein langes Schläfchen zu machen.
© Anke Schiermeyer
Eine wilde Jagd
Eine Gute-Nacht-Geschichte für Kinder.
Wolke streckte sich genüsslich. Die weiße Katze hatte ihr Schläfchen beendet und gähnte ausgiebig. Dabei zeigte sie ihre spitzen Zähne. "Vor deinen Beißerchen muss man ja Angst haben", kicherte der Hund Schnuffel. Wolke schaute ihren schlappohrigen Freund verschmitzt an. "Genau! Wir Katzen können ganz fest zubeißen, aber außerdem sind wir auch noch schön und klug." Schnuffel grinste. "Hast du Lust mit mir Fangen zu spielen, du Schönheit?" Statt eine Antwort zu geben, rannte Wolke einfach los. Bis Schnuffel merkte, dass sie damit das Spiel bereits begonnen hatte, war das Kätzchen schon fast über den ganzen Hof gelaufen. "Na warte, dich krieg ich", brummte er und setzte ihr nach.
Über den Hof, hinter der Scheune lang, über die Wiese, bis hin zum Teich ging die wilde Jagd. Dabei kam Schnuffel seiner Freundin immer näher. Er freute sich schon, dass er sie diesmal fangen würde, aber im letzten Moment entkam sie ihm doch wieder.
Wolke entdeckte nämlich einen Durchgang aus Holz, der zum Teich führte und flitzte ihn entlang. Doch oh weh! Zu spät bemerkte sie, dass dieser Holzsteg direkt ins Wasser führte. Sie war viel zu schnell, um noch anzuhalten, und so landete sie - platsch - im Teich.
Das Kätzchen erschreckte sich furchtbar. War das kalt! Nach einigem Paddeln konnte sie sich auf ein Brett retten, das im Wasser trieb. Dann sah sie zu Schnuffel herüber, der sich vor Lachen auf dem Steg wälzte. "Na du kluge Katze, was machst du jetzt? Ich dachte, du magst kein Wasser." Wolke hasste Wasser, das stimmte. Aber niemals würde sie das jetzt zugeben. "Ich mache doch nur eine kurze Fahrt auf dem See", behauptete sie und schüttelte sich das Wasser aus den Ohren. Huch, fast wäre sie wieder baden gegangen. Sie konnte sich gerade noch festkrallen. Wie sollte sie nur zurückkommen, ohne dabei noch mal nass zu werden?
"Kann ich dir helfen?", hörte das Kätzchen plötzlich eine leise Stimme fragen. Ein großer Fisch steckte den Kopf aus dem Wasser und blickte sie freundlich an. "Ich möchte wieder zurück", bat Wolke. "Kein Problem", erklärte der Karpfen und spritzte ein bisschen mit seiner Flosse. Dann stupste er das Brett mit seinem Maul an und schob es zurück ans Ufer. Wolke war sehr froh, als sie die Pfoten endlich wieder auf festem Boden hatte. Sie bedankte sich bei ihrem Retter und blickte dann vergnügt zu Schnuffel hinüber. "Was ist, bist du etwa schon müde?" Der Hund schüttelte überrascht den Kopf. War Wolke´s Übermut denn immer noch nicht abgekühlt? Aber die Katze war schon wieder losgerannt, und er beeilte sich, hinter ihr her zu kommen.
© Anke Schiermeyer
Wunschpunkte
Eine Gute-Nacht-Geschichte für Kinder.
Es war ein herrlich warmer Frühlingstag. Hanna und Lukas standen am Kinderzimmerfenster. Sehnsüchtig starrten sie durch die Scheibe. Am liebsten würden sie jetzt draußen spielen. Aber sie durften nicht. Vorher sollten sie ihr Zimmer aufräumen, hatte ihre Mutter gefordert. Hanna seufzte. Sie hatte überhaupt keine Lust zum Aufräumen. Lukas auch nicht. Er beobachtete lieber einen Marienkäfer, der außen auf der Fensterscheibe krabbelte. Sssst machte es, und der Marienkäfer schwirrte durch den offenen Fensterspalt ins Zimmer hinein. Er landete in der Gardine.
„Hey, guck mal!“ Lukas stieß Hanna in die Seite. “Ist der nicht klasse?“ Vorsichtig streckte er einen Finger aus. Der Käfer krabbelte hinauf. „Das kitzelt“, lachte Lukas.
“ Lass mich auch mal!“, Hanna streckte ebenfalls ihren Finger aus.
“ Nee, jetzt nicht“, wehrte Lukas ab und zog seinen Finger zurück. Erschreckt flog der Marienkäfer auf, schwirrte ein bisschen herum und landete dann auf Hannas Hand. “Jetzt ist er bei mir“, freute sich Hanna. Langsam hob sie die Hand und sah sich den Kä,fer genau an. „Komisch“, wunderte sie sich. „Er hat sieben dunkle Punkte und drei goldene.“
“ Was? Das kann nicht sein“, meinte Lukas. „Marienkäfer haben keine goldenen Punkte.“
“ Dieser schon“, beharrte Hanna, und sie zeigte Lukas die kleinen Pünktchen.
„ Na, wenn schon.“ Lukas zuckte gleichgültig mit den Schultern. Der Käfer war ihm bereits langweilig geworden. „Ich will jetzt endlich nach draußen. Ich wünschte, unser Zimmer wäre schon aufgeräumt.“
Wie durch Zauberhand wirbelten auf einmal alle Sachen im Zimmer herum: Die Bausteine landeten in ihrem Eimer, Hannas Puppe im Puppenbett, Lukas Bilderbücher im Regal. Auch die verstreuten Socken plumpsten einer nach dem anderen in den Wäschekorb. In Nullkommanix war das Zimmer aufgeräumt.
Hanna und Lukas sperrten vor Staunen den Mund auf. „Was war denn das?“, fragte Lukas verblüfft.
“ Ich glaube, dein Wunsch ist gerade in Erfüllung gegangen“, flüsterte Hanna.
“ Das gibt’s nicht“, behauptete Lukas. „Wenn ich zum Beispiel sagen würde: Ich wünschte, mein Fahrrad wäre wieder heile. Dann wäre es doch trotzdem noch kaputt. Papa muss erst den Reifen flicken. Von alleine geht das nicht.“ „Das weiß doch jeder!“, fügte er noch hinzu.
“ Da wäre ich nicht so sicher“, sagte Hanna, die inzwischen zum Fahrrad gelaufen war, das in einer Ecke stand. Sie bückte sich und sah genau hin. Beide Räder hatten Luft. Sie setzte sich auf den Sattel, trat einmal die Pedale und rollte durchs Zimmer. „Siehst du?“
Lukas war fassungslos. „Aber, aber, das geht doch gar nicht“, stotterte er.
“ Ich glaube, es hat mit dem Marienkäfer zu tun“, überlegte Hanna. Sie trug den Käfer immer noch auf der Hand und blickte jetzt nachdenklich auf seine Flügel. „Lukas, er hat nur noch einen goldenen Punkt“, rief sie aufgeregt.
“ Du meinst …?“
“ Genau! Das sind Wunschpunkte“, erklärte Hanna. „Drei goldene Punkte waren es. Dann hast du dir zwei Sachen gewünscht. Und genau zwei Punkte sind verschwunden.“
“ Wenn jetzt nur noch ein Punkt da ist“, grübelte Lukas, „dann haben wir auch nur noch einen Wunsch frei.“
“ Sieht so aus“, nickte Hanna.
“ Und was wünschen wir uns?“, fragte Lukas.
“ Vielleicht eine Tüte Gummibächen“, schlug Hanna vor.
“ Das ist blöd! Besser was Größeres. Wie wäre es mit einem Schwimmbecken im Garten?“
“ Das ist noch blöder! Dafür ist gar kein Platz. Wir nehmen ein Pony!“, bestimmte Hanna.
“ Ein Schwimmbecken!“, fauchte Lukas.
„ Ein Pony!“ Hanna ließ nicht locker.
Sie konnten sich nicht einigen und zankten laut miteinander. „Ich wünschte, der dumme Käfer hätte überhaupt nur zwei Punkte gehabt“, schrie Hanna schließlich wütend. Als sie merkte, was sie gesagt hatte, schlug sie schnell die Hand auf den Mund. Aber es war zu spät. Schon löste sich der letzte goldene Punkt auf dem Flügel des Marienkäfers auf.
"Ja, das mit dem Wünschen ist gar nicht so einfach", kicherte der Käfer ganz leise. Aber das hörten Hanna und Lukas nicht. Als der Käfer durch das Fenster davonflog, bildeten sich auf seinen Flügeln bereits neue Wunschpunkte.
© Anke Schiermeyer
Niklas wird Baggerführer
Eine Gute-Nacht-Geschichte für Kinder.
Niklas liebte Bagger! Jedes Mal, wenn er mit seiner Mutter an einer Baustelle vorbeikam, musste er unbedingt stehen bleiben. Denn Niklas wollte Bagger gucken! Die anderen Baumaschinen waren auch nicht schlecht, fand Niklas, aber am Spannendsten waren Bagger. Bagger konnten so viel: Löcher graben, mit der Schaufel Erde auf einen Laster kippen, sogar schwere Steine hochheben. Einmal hatte Niklas gesehen, wie ein Bagger eine ganze Wand eingerissen hatte. Wumm! Nur ein Haufen Schutt und Steine war übrig geblieben. Außerdem konnten sich Bagger prima drehen. Und mit ihren Ketten konnten sie durch die dickste Matsche fahren, ohne stecken zu bleiben.
Niklas größter Wunsch war es, Baggerführer zu werden wenn er groß war. Nur, - das dauerte noch so schrecklich lange. Niklas ging zwar schon in den Kindergarten. Aber in die Schule musste er vorher auch noch, hatte ihm die Erzieherin Nele erklärt.
Doch heute hatte Niklas großes Glück. Der Garten des Kindergartens sollte umgestaltet werden. Sie würden eine neue Sandgrube bekommen, hatte Nele erzählt. Und eine lange Rutsche, die auf einem Hügel stehen würde. Vielleicht würde auch noch ein Tunnel durch den Hügel gebaut werden. Alle Kinder waren aufgeregt. Sie freuten sich auf die neuen Spielgeräte. Niklas freute sich auf den Bagger! Denn Nele hatte ihm gestern ins Ohr geflüstert, dass ein Bagger die Löcher graben und den Hügel aufschütten würde. Deshalb war Niklas heute Morgen ohne Murren aufgestanden, um möglichst schnell in den Kindergarten zu kommen. Es dauerte auch nicht lange, und es klingelte an der Tür. Die Bauarbeiter waren da. Sie gingen ins Büro zu Bettina. Bettina leitete den Kindergarten und wollte noch etwas mit ihnen besprechen.
Dann ging es endlich los. Niklas beobachtete vom Fenster aus alles ganz genau. Der Bagger wurde von einem Fahrzeug abgeladen.
„ Das ist ein komisches Auto“, meinte Anna. Anna war Niklas Freundin.
Als Niklas sie fragend ansah, fügte sie hinzu: „Na, da wo der Bagger draufstand.“
„ Das ist ein Tieflader“, wusste Niklas.
„ Ach so“, meinte Anna beeindruckt.
Der Bagger fuhr in den Garten. Damit er überhaupt hineinkam, hatten einige Männer gestern einen Teil des Zaunes abgebaut. Der Baggerführer lehnte sich aus dem Fenster des Baggers. Er rief eine Frage zu einem Mann hinüber, der ein Papier in der Hand hatte. Weil der Bagger so laut dröhnte, mussten die Männer schreien, um sich zu verstehen. Zusätzlich gab der Mann mit dem Papier Zeichen mit der Hand. Dann fuhr der Bagger genau dorthin, wo die Sandgrube später stehen sollte. Der Baggerführer drückte Hebel oder Knöpfe, genauer konnte Niklas das nicht erkennen, und die Baggerschaufel senkte sich zur Erde. Niklas hielt gespannt den Atem an.
Da zupfte ihn Anna am Arm.
Kommst du mit, Niklas?“, fragte sie. „Wir wollen Pferd spielen.“
„ Jetzt nicht!“, ungeduldig schüttelte Niklas Annas Arm ab.
Anna zuckte mit den Schultern und ging allein zum Spielen.
Niklas blieb am Fenster stehen. Sehnsüchtig drückte er die Nase an die Scheibe. Wenn er nur auch schon Baggerführer wäre.
Später machten die Bauarbeiter Pause. Das Loch war fast fertig. Weil es draußen kalt war, kamen sie zum Frühstücken in den Kindergarten. Niklas drückte sich an der Küchentür herum, um sich die Arbeiter anzusehen. „Willst du nicht reinkommen?“, fragte ihn ein Arbeiter freundlich. Niklas schluckte. Das war der Baggerführer, erkannte er. Niklas nickte schüchtern. Baggerführer Michael zog einen Stuhl für den Jungen heran und Niklas setzte sich. Bald unterhielt er sich mit Michael und erzählte von seinem größten Wunsch.
„ So, so, Baggerführer willst du werden“, schmunzelte Michael.
„ Möchtest du mal in die Kabine klettern?“
Niklas war begeistert. Nichts würde er lieber tun.
Zum Glück gab ihm Nele die Erlaubnis, und er ging mit den Bauarbeitern hinaus. Baggerführer Michael half ihm dabei, in die Kabine zu klettern. Die war höher, als er gedacht hatte. In der Kabine durfte er sich auf Michaels Knie setzen. Dann erklärte ihm der Baggerführer alle Hebel, Knöpfe und Schalter. Niklas durfte sogar selber an den Hebeln ziehen und dadurch den Baggerarm bewegen. Das war toll! Dann musste Niklas leider wieder in den Kindergarten zurück. Die Arbeiten mussten ja weiter gehen.
Die anderen Kinder hatten ihm durch die Fenster zugeschaut. „Du bist ja ein richtiger Baggerführer!“, schwärmte Anna. Niklas wurde ein bisschen rot im Gesicht – so freute er sich.
© Anke Schiermeyer
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